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Esslinger Zeitung vom 02.10.2006

Ehrung für "himmlische Musik"


ESSLINGEN: Komponist Hans Georg Bertram erhält silberne Brenz-Medaille der Evangelischen Landeskirche

Von Sabine Försterling


"Ich fühle mich jetzt noch mehr reich und beschenkt", bedankte sich Hans Georg Bertram offensichtlich bewegt. Der renommierte Esslinger Komponist und Organist an der Stadtkirche St. Dionys wurde für ihn ganz unverhofft mit der silbernen Brenz-Medaille der Evangelischen Landeskirche in Württemberg geehrt.

"Freude ist uns zugesagt", stimmten der gemischte Chor, die Blechbläser und Hermann Trefz an der Orgel an. Mit Hans Georg Bertrams Variationen über Spirituals wurde im Rahmen der Stunde der Kirchenmusik unter dem Titel "Lobpreis" in der Stadtkirche der 70. Geburtstag des Urhebers zelebriert. Der Professor ist seit 1978 nicht nur Dozent, sondern auch Organist in St. Dionys und kann auf ein umfangreiches kompositorisches Werk zurück blicken. Es würde den Rahmen sprengen im Einzelnen auf die Vielfalt vom großen Orgel-, Orchester- und Chorkonzert bis hin zur Musik für Kinder einzugehen, meinte Landeskirchenmusikdirektor Siegfried Bauer, der unverhofft ans Mikrofon trat. Wenn es etwas Heilendes gebe, dann sei es der dankbare Lobgesang, ein Ton der Liebe, der Geduld, der Hoffnung und der Güte. Er sei Bertram als Mitglied des Orchesters vor zehn Jahren bei der Aufführung von dessen Symphonie "Canto per un altro mondo" ("Gesang für eine andere Welt") sehr nahe gewesen. Bei dem Werk handele es sich um Gesang aus einer anderen Welt, eben himmlische Musik.

Eine von Gott verliehene Gabe

Die herausragenden Leistungen des Komponisten auf dem Gebiet der geistlichen Musik würdigte Siegfried Bauer nun mit der Übergabe der silbernen Brenz-Medaille, der höchsten Auszeichnung der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Dekan Dieter Kaufmann dankte Bertram, dass dieser seine von Gott verliehene Gabe an die Gemeinde weiter gibt. Der 70-jährige Kirchenmusiker habe immer auch theologische Kompositionen angestrebt sowie ein Bewusstsein für die Verkündung verspürt und vermittelt. "Wir sind Bettler, das ist wahr", spielte Bertram auf eine vorher gesungene Textzeile an. Er hoffte, dass Gott ihm noch viel Zeit schenkt, damit er sich der Ehrung würdig erweisen könne.



Evangelisches Gemeindeblatt

Der Komponist Hans Georg Bertram wird 70 Jahre alt

Hans Georg Bertram

Der Esslinger Organist und Komponist Hans Georg Bertram ist aus der Kirchenmusik der Gegenwart nicht wegzudenken. Die von ihm organisierten nächtlichen Konzertfolgen sind Gesamtkunstwerke. Mit seinen „Oratorien für Sprechstimme und Orgel“ hat er eine neue musikalische Gattung weitgehend selbst begründet. Der Kirchenmusikdirektor wird am 27. August 70 Jahre alt.

Musik ist Lobpreis. Sie ist ein Geschenk Gottes, eine Gabe, die zur Aufgabe wird, zur Weitergabe.“ Unter diesem Vorzeichen sieht Bert-ram sein ganzes musikalisches Wirken. Der geborene Gießener promovierte in Musikwissenschaft und war ab 1988 Professor an der Hochschule für Kirchenmusik in Esslingen. Der Kirchenmusikdirektor hat bis heute an der Stadtkirche in Esslingen einen Organisten-Auftrag.

Der Sohn eines Theologieprofessors sieht keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen „geistlicher“ und „weltlicher“ Musik. Das zeigt schon ein Überblick über sein vielfältiges kompositorisches Schaffen, das stilistisch als traditionsverbunden und gemäßigt modern klassifiziert werden kann.

Neben Oratorien, choralgebundenen Orgelwerken (fünf Hefte „Ludus Choralis“ und bislang zwei Hefte „Exercitium Chorale“, dazu eine „Orgelmesse“ von 1979), Kantaten und geistlichen Konzerten nehmen Kammermusik und Instrumentalmusik einen breiten Raum ein. Hervorzuheben sind etwa drei Streichquartette, ein Klavierkonzert mit dem Titel „Coeur du soleil“ (1987) oder das „Konzert ohne und mit b - a - c - h für Violine und Streichorchester“ (1974).

Besonders bekannt sind Bertrams drei Oratorien, die in klassischer Weise Solostimmen, Chor und Orchester einbeziehen: „Der reiche Mann und der arme Lazarus“ (1971), „Seligpreisungen“ (1977/78) und – im Gedenken an Dietrich Bonhoeffer komponiert – „Ecce Homo“ (1990/91).

Zehn weitere Oratorien dagegen haben die einzigartige Besetzung „Sprechstimme und Orgel“. Schon Titel und Untertitel weisen darauf hin, wie Bertram von biblischen Texten und Themen inspiriert wird, aber auch von Texten aus der Literatur, die er selbst auswählt und die mit Bibeltexten oder Choralstrophen verknüpft werden: „Das A und das O“ (1989), nach Texten aus der Offenbarung des Johannes; „Am Anfang: das Wort“ (1993); nach dem Johannesevangelium; „Markus Evangelista“ (1996), nach dem Markusevangelium; „Adam, wo bist du“ (1999), nach Gedichten von Peter Baumhauer und biblischen Texten.

Kurz vor der Vollendung steht „dass du dich wundern wirst oder die Frage nach der Rückkehr ins Paradies“. Texte von Marie Luise Kaschnitz und Dorothee Sölle korrespondieren mit Paul Gerhardts „Befiehl du deine Wege“. Zielpunkt ist Nikolaus Hermans Choralstrophe „Heut schließt er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis“.

Bei der Hälfte dieser zehn Oratorien für Sprechstimme und Orgel greift Bertram auf Übersetzungen biblischer Bücher durch Walter Jens zurück. Mit ihm verbindet ihn eine lange Zusammenarbeit und Freundschaft. In den letzten beiden Oratorien kommen keine Bibeltexte vor, außer Psalm 133 in der „Hymne an den Löwenzahn“ (2005). Meistens wird die Sprechstimme mit Orgelmusik unterlegt, kaum aber in den letzten beiden Oratorien. Im neuesten Oratorium kommt der Gemeindegesang dazu.

Bertram benutzt also nicht ein einziges Schema, sondern experimentiert und variiert. Zwischen den einzelnen Sprechteilen wird auf der Orgel solo gespielt. Aus den Zwischenspielen von „Ich sage: Jetzt“, „Stimmen der Nacht“ und „Hiobs Botschaft“ sind drei Zyklen entstanden, die als „Orgelsinfonien“ auch ohne die Einbettung in das jeweilige Oratorium ihr Gewicht haben.

Bei aller Intellektualität und musikalischen Meisterschaft hebt Hans Georg Bertram nicht ab. Er bleibt ein elementarer Musiker, auch mit pädagogischer Zielsetzung. Das zeigen die Kanons, die er gerne schreibt, und seine viel gespielte „Kleine Adventskantate für Kinderchor, Flöte und Orgel“ mit dem Titel „Krippe und Kreuz“ (1974).

Dr. Andreas Rössler



Esslinger Zeitung vom 26.08.2006


Offene Ohren für die Tradition, wache Sinne für das Neue

Ein fortgeschrittener Konservativer seiner Kunst: Der Esslinger Komponist und Organist Hans Georg Bertram wird morgen 70 Jahre alt

Von Martin Mezger


Esslingen - Ihm fehlt alles, was zum Negativklischee des Gegenwartskomponisten gehört: hochtrabender Intellektualismus und dünkelhaftes Tabubrecherpathos samt dem Bedürfnis, das Publikum auf einen akustischen Horrortrip zu schicken. Und doch verfügt Hans Georg Bertram über alles, was gegenwärtige Tonsetzerei ausmacht, auch wenn er es nicht mit jeder Note in den Gehörgang bläst. Der Esslinger Komponist und Organist ist ein fortgeschrittener Konservativer seiner Kunst - in dem Sinne, dass er die Ohren öffnet für die Tradition und den Sinn bewahrt für das Neue. Wenn Strawinsky vom "Appetit" sprach, den ein Komponist auf Klänge und ihre Formung haben müsse, scheint dies geradewegs auf Hans Georg Bertram gemünzt. Und sein Appetit ist unersättlich: Unentwegt scheint ihn Musik zu durchpulsen. Altes und Neues, Bilder, Texte, selbst die Atmosphäre von Sprachen und Landschaften wird ihm zur Inspirationsquelle. Entsprechend umfangreich und vielgestaltig sein Oeuvre: Unter anderem hat er Chorwerke, Solokonzerte, Symphonien, Orgel- und Kammermusik komponiert. Bereits der Werkkatalog zeigt, dass er sich nicht scheut vor der großen, klassisch-romantischen Traditionsform. Wurzelt seine Klangsprache in einer freitonalen Harmonik, die bisweilen an Hindemith oder Bartók erinnert, stehen seiner ästhetischen Offenheit doch auch Zwölfton-Strukturen oder gar experimentelle Ansätze zu Gemüte. Die Suche nach der verlorenen Zeit, die in Bertrams Sonatenhauptsätzen und Orgelpolyphonien mitklingen mag, entpuppt sich plötzlich als schiere Gegenwärtigkeit: Im Überlieferten vernimmt er die Botschaft ans Jetzt.

Darin spiegelt sich naturgemäß der Werdegang des 1936 in Gießen geborenen Kirchenmusikers, der morgen seinen 70. Geburtstag feiert. Als Dozent und späterer Professor an der ehemals in Esslingen beheimateten Hochschule für Kirchenmusik, als Organist an der Esslinger Stadtkirche hat sich Bertram in den Dienst der sakralen Tradition gestellt, um sie weiterzuentwickeln. Der Zyklus seiner Wort-Oratorien, den er in Zusammenarbeit mit Walter Jens begonnen hat, bekundet im besten evangelischen Sinn Treue zur Schrift und lässt sie doch hinüberklingen in die Mystik des Unsagbaren.

Die theologische Dimension ist auch für den weltlichen Komponisten Bertram gegeben, versteht er doch alles was da klingt als Lob Gottes. Und Gott ist größer als der professionelle Zirkel musikalischer Alleskönner: Bertram ist sich nicht zu schade, für die Gemeindepraxis, für Laienmusiker und Kinderchöre zu komponieren. Nicht nur diakonischem Diensteifer dürfte das geschuldet sein, sondern dem "Appetit" auf die Vielfalt charakteristischer Klänge. Jene, die nicht aus hochtrainierten Kehlen kommen, haben ihre eigene Kraft, und Bertrams professionelle Sensibilität weiß sie zu schätzen.

Hans Georg Bertram ist die Stunde der Kirchenmusik am 30. September, 19.30 Uhr, in der Esslinger Stadtkirche gewidmet.



Stuttgarter Zeitung vom 17.7.2006

Von der Macht des Klanges, der Stille und des Wortes

Bei der langen Orgelnacht in der Esslinger Stadtkirche Sankt Dionys steht die „Königin der Instrumente“ nicht allein im Mittelpunkt

ESSLINGEN. Von acht bis acht – was als Drohung in Form musikalischer Marathonberieselung aufgefasst werden könnte, entpuppt sich am Ort des Geschehens als Thema mit reizvollen Variationen. Viele Anhänger sind wieder dem Charme der langen Orgelnacht erlegen.

Von Helmar M. Heger

In den frühen Morgenstunden bröckelt die Fangemeinde zahlenmässig ein wenig. Wer durchhält, wird nicht nur mit akustischen Sinneseindrücken entschädigt. Viele schwärmen vom Farbenspiel, das die aufgehende Sonne in den mittelalterlichen Glasmalereien der Chorfenster entfacht. Wen es schon früher heimgezogen hat, der nimmt zumindest den Eindruck mit, an einem aussergewöhnlichen Schauspiel teilgenommen zu haben. Zum neunten Mal ist am Wochenende die lange Orgelnacht in der Esslinger Stadtkirche Sankt Dionys veranstaltet worden, ein Konzert der etwas anderen Art, bei dem nicht nur die „Königin der Instrumente“ allein im Mittelpunkt steht.
„Natur und Schöpfung“ sind diesmal als Leitmotiv gewählt worden, ergänzt durch musikalische Fingerzeige auf Mozarts 250. Geburtstag. Nicht nur traditionelle Orgeltonwerke setzen den Rahmen, auch zeitgenössische Kompositionen bekommen Gelegenheit, ein grösseres Auditorium zu erreichen. Die „Hymne an den Löwenzahn“ von Hans Georg Bertram mag stellvertretend für die modernen Stücke stehen, ein Oratorium für Sprechstimme, Gemeindegesang und Orgel, mit Texten von Wolfgang Borchert und Paul Gerhardts Lied „Geh aus mein Herz“. Zwischen Musik und Wortbeiträgen ist als programmatische Interpunktion während der Orgelnacht „Stille“ gewollt, wie es als Gelegenheit für Besucher, in meditativer Versenkung dem Nachklang des Gehörten zu lauschen, oder, auch das wird gerne wahrgenommen, das Büffet am Kircheneingang zur Stärkung aufzusuchen. Das Kommen und Gehen über Stunden hinweg könnte als Störfaktor empfunden werden. In Wirklichkeit ist es aber keiner. Der Orgelspieler Uwe Schüssler spricht von einem „Spagat zwischen offener Tür und Konzentration“, damit müsse man leben. Dies umso lieber, „weil auch Leute vorbeischauen, die sonst nicht in ein Orgelkonzert gehen würden“. Besonders gut gefüllt ist das Kirchenschiff in der Stunde vor Mitternacht, wenn sich Grosse Orgel, Orgelpositiv und Truhenorgel zur „Musik für drei Orgeln“ zusammenfinden. Da ziehen Bertram, Hanna und Uwe Schüssler sprichwörtlich alle Register ihrer Instrumente. Klangkaskaden durchfluten den hohen Raum, es säuselt, wummert, schmettert und dröhnt, und zum Finale greift das Trio überraschend in die Tasten fürs Banale: Der „Entertainer“ orgelt mit Volldampf im Dreiklang prasselndem Schlussbeifall entgegen.
Das Bedürfnis der Menschen, im Sakralbau nachts zuzuhören oder ganz einfach seinen Gedanken nachzuhängen, sei deutlich spürbar, sagt Dekan Dieter Kaufmann. Mit der Orgelnacht habe die evangelische Gesamtkirchengemeinde bisher gute Erfahrungen gemacht. Das spirituelle Erlebnisses wegen ist die Orgelnacht „für viele ein wichtiger Termin“. Auch der aktuelle Esslinger Bahnwärter, der Hamburger Schriftsteller Gunter Gerlach, hat ihn wahrgenommen. Gerlachs Eindruck gipfelt in einem „Ganz toll“.



Esslinger Zeitung vom 17.07.2006

Musikalischer Stafettenlauf


ESSLINGEN: Die "Orgelnacht von acht bis acht" spannt den Bogen vom Barock bis hin zu zeitgenössischen Werken

Von Rainer Kellmayer

Welchem Freund der Kirchenmusik ist es schon vergönnt, der großen Orgel der Esslinger Stadtkirche "aufs Dach" zu steigen und das Fernwerk auf dem Dachboden zu besichtigen? Bei der "Orgelnacht von acht bis acht" hatten die Besucher in St. Dionys die Gelegenheit, aber nur eine kleine Schar kam in den Genuss, unter der sachkundigen Leitung von Annelore Münzmay und Orgelbaumeister Christian Reichel das Fernwerk der Orgel zu erkunden.Wer sich vergebens für eine Führung angestellt hatte, wurde durch das musikalische Angebot entschädigt. "Wir möchten ein breites Spektrum zeigen. Dabei stehen, neben Kompositionen aus Barock, Klassik und Romantik insbesondere zeitgenössische Werke im Zentrum" umriss Uwe Schüssler, der zusammen mit Hans Georg Bertram für die Organisation verantwortlich zeichnet, die Konzeption.

Besonderes Klangerlebnis

Bereits zum neunten Mal war in St. Dionys Musik vom Samstagabend bis zum frühen Sonntag zu hören. Ein solcher zwölfstündiger Konzertmarathon bedarf nicht nur einer durchdachten Organisation, sondern auch eines Großaufgebots an Künstlern. So hatte man acht renommierte Organisten verpflichtet, deren Konzertbeiträge immer wieder das zentrale, sich wie ein roter Faden durch die Veranstaltung ziehende Motto der Orgelnacht aufnahmen: Natur und Schöpfung. Ein zweiter Themenschwerpunkt war Wolfgang Amadeus Mozart gewidmet, dessen 250. Geburtstag die Musikwelt in diesem Jahr feiert.

Mit Johann Sebastian Bachs klangprächtigem "Präludium und Fuge f-Moll" eröffnete Tobias Horn den musikalischen Stafettenlauf, um dann mit der f-Moll-Fantasie KV 594 Wolfgang Amadeus Mozart seine Reverenz zu erweisen. Dem Thema "Schöpfung" widmete sich Thomas Schäfer-Winter mit Orgelkompositionen von Bach und Durufle.

Ein besonderes Klangerlebnis boten Hanna und Uwe Schüssler in konzertierter Aktion mit Hans Georg Bertram an großer Orgel, Truhenorgel und Positiv: Perfekt abgestimmter Stereosound erfüllte den Raum der Stadtkirche bei der Wiedergabe ausgewählter Orgelwerke vom Barock bis zu Scott Joplins "Heliotrope Bouquet". Dabei erklangen die einzelnen Phrasen in stetem Wechsel zwischen den drei Orgeln, und durch die unterschiedliche Färbung der Instrumente sowie eine differenzierte Registrierung schillerten die Werke in mannigfachem Licht.

Ein Höhepunkt war die Uraufführung von Hans Georg Bertrams neuem Werk "Reigen", in dem er in einer Variationsfolge ein Thema aus Mozarts bekannter A-Dur-Sonate verarbeitete. Gegen Mitternacht war die "Hymne an den Löwenzahn" des Esslinger Komponisten zu hören, von den Sprechern Bernard Tewes und Susanne Pertiet - in bester Abstimmung mit dem Organisten Hermann Trefz - eindrucksvoll wiedergegeben.

Instrumentale Farbtupfer

Reizvolle Kontraste setzten Felix Muntwiler, Johannes Zimmermann und Uwe Schüssler. Während Muntwiler Miniaturen aus Mozarts "Londoner Notenbuch" mit zeitgenössischer Orgelmusik kombinierte, widmete sich Zimmermann neben der Eigenkomposition ". . . soll mein Gott gelobet sein" Werken von Felix Mendelssohn-Bartholdy und Jehan Alain. Uwe Schüssler stellte eine Bearbeitung von Mozarts Adagio c-Moll ins programmatische Zentrum, umrankt von Orgelkompositionen von Georg Philipp Telemann bis Rolf Schweizer.

Für instrumentale Farbtupfer sorgten die Bratschistin Marlene Svoboda und Albrecht Imbescheid (Flöten). In ihren Solovorträgen stellten sie Kompositionen von Johann Sebastian Bach Werken des 20. und 21. Jahrhunderts gegenüber - reizvolle Kontrapunkte, die der Langeweile klanglicher Eintönigkeit entgegenwirkten. Zur Auflockerung des Musikmarathons trugen auch Inseln der Stille und die Lesungen von Susanne Pertiet bei, die neben Besinnlichem Zitate aus Mozarts Prager Briefen vortrug. Ein Mammutkonzert wie die Orgelnacht verlangt nicht nur den Interpreten, sondern auch dem Publikum ein gehöriges Maß an Konzentration und Kondition ab. Deshalb bot man zur Stärkung Getränke und kulinarische Kleinigkeiten, die von den Zuhörern gerne angenommen wurden.






 

Esslinger Zeitung vom 12.07.2006

Wunderbare Schöpfungen

ESSLINGEN: Orgelnacht von Samstagabend bis Sonntagmorgen in der Stadtkirche

Von Alexander Maier

Die "Orgelnacht von acht bis acht" ist längst zum Markenzeichen geworden: Bereits zum neunten Mal laden Hanna und Uwe Schüssler sowie Hans Georg Bertram Musikliebhaber dazu ein, sich von der Faszination des Orgelklangs gefangen nehmen zu lassen und St. Dionys zwölf Stunden lang von einer ungewohnten Seite zu erleben. Diesmal haben die Künstlerinnen und Künstler, die das Programm bestreiten, zahlreiche Kompositionen ausgewählt, die sich mit Natur und Schöpfung auseinandersetzen. Und immer wieder erweisen sie auch Mozart die Ehre.

Faszinierende Atmosphäre

Die Eintritt zur Orgelnacht ist frei, damit jeder nach Belieben kommen und gehen kann. Manche bleiben von 20 bis 8 Uhr und legen sich zwischendurch in einem abgelegeneren Winkel von St. Dionys aufs Ohr. Andere schauen gezielt vorbei, um den einen oder anderen Programmpunkt zu hören. Doch es ist nicht nur die Musik, die diese Veranstaltung Jahr für Jahr aufs Neue zum Erlebnis macht - es ist auch die ganz besondere Atmosphäre, die viele Freunde findet: Man kann den Kirchenraum auf sich wirken lassen, der Musik und zwischendurch der Stille lauschen, das vergehende Licht des Tages in den Glasfenstern sehen und Stunden später den Sonnenaufgang im Chor der Kirche erleben. Und man kann über Natur und Schöpfung sinnieren und sich dabei von Susanne Pertiets eigens geschaffenem Fahnentuch "Ansgar-Kreuz" inspirieren lassen.

Der Organist Tobias Horn eröffnet die neunte Esslinger Orgelnacht am Samstag, 15. Juli, um 20 Uhr mit drei Kompositionen von Mozart, Bach und Max Reger. Nach einer ersten Lesung mit Susanne Pertiet werden Teilnahmekarten für die Führung zum Orgel-Fernwerk um 21.30 Uhr ausgegeben. Zwei Kompositionen von Maurice Durufle und Johann Sebastian Bach bringt der Organist Thomas Schäfer-Winter ab 21 Uhr zu Gehör, ehe Susanne Pertiet ab 21.30 Uhr in der Sakristei aus Eduard Mörikes Text "Mozart auf der Reise nach Prag" sowie aus Mozarts Prager Briefen liest.

Einen zentralen Platz im Programm nimmt die Musik für drei Orgeln ein, die um 22.30 Uhr beginnt. Uwe Schüssler an der Truhenorgel, Hanna Schüssler am Orgelpositiv und Hans Georg Bertram an der großen Orgel bieten ein Repertoire, das sich zu entdecken lohnt: Neben Kompositionen von Mozart (darunter dessen Leipziger Gigue), Schumann, Couperin und Händel erwartet die Zuhörer manche Finesse: Scott Joplins "Heliotrope Bouquet" etwa oder eine Uraufführung von Bertrams neuem Werk "Reigen" - Variationen des Esslinger Komponisten über ein Thema aus Mozarts bekannter A-Dur-Sonate.

Der Organist Hermann Trefz sowie die Sprecher Bernard Tewes und Susanne Pertiet bringen ab 23.30 Uhr Bertrams "Hymne an den Löwenzahn" zu Gehör - ein Oratorium für Sprechstimme, Gemeindegesang und Orgel mit Texten von Wolfgang Borchert und dem Paul-Gerhardt-Lied "Geh aus mein Herz". Mit Marlene Svoboda ist ab 1 Uhr eine Bratschistin in St. Dionys zu Gast - sie spielt Kompositionen von Bach, Benjamin Britten und Bertram. Und von 2 Uhr an ist Münster-Organist Felix Muntwiler mit Werken von List und Messiaen sowie einer eigenen Komposition zu hören, ehe um 3 Uhr eine Führung zum Fernwerk beginnt.

Johannes Zimmermann spielt von 4 Uhr an Werke von Jehan Alain und Felix Mendelssohn Bartholdy sowie eine eigene Komposition, ehe ab 5 Uhr nochmals Thomas Winter-Schäfer mit Orgelmusik von Bertram und Bach zu hören ist. Der Flötist Albrecht Imbescheid spielt ab 6 Uhr zwei eigene Stücke sowie ein Werk von Heinz Holliger, und ab 7 Uhr ist noch einmal Kirchenmusikdirektor Uwe Schüssler mit Kompositionen von Telemann, Mozart, Barbe, Bach, Dupre und Rolf Schweizer zu hören, ehe die Orgelnacht mit einer weiteren Lesung von Susanne Pertiet ausklingt.






 

Esslinger Zeitung vom 04.07.2006:

Musikalische Reverenz an Hans Georg Bertram


ESSLINGEN: Festliche Stunde der Kirchenmusik in St. Dionys

Von Rainer Kellmayer

Ende August wird der weit über Esslingen hinaus bekannte Organist und Komponist Hans Georg Bertram 70 Jahre alt. Aus diesem Anlass erklangen in einer "Festlichen Stunde der Kirchenmusik" in Esslingens Stadtkirche zwei kontrastierende Werke aus dem umfangreichen Oeuvre des Jubilars: die 1982 geschriebene Deutsche Messe und ein Satz aus dem Konzert für Violine und Streichorchester von 1974.

"Der Oratorienverein Esslingen möchte Hans Georg Bertram seine musikalische Reverenz erweisen", sagte Jörg Dobmeier, der vom Dirigentenpult aus die musikalischen Abläufe koordinierte. Mit klarer Schlagtechnik führte er Chor und Orchester des Vereins um die zahlreichen Klippen herum, die in Bertrams Partituren lauern. In der Deutschen Messe füllt der Komponist die liturgischen Teile der katholischen Messe mit neuen Inhalten, verwendet passende Liedtexte und stellt im Credo den 90. Psalm ins Zentrum der theologischen Aussage. Bertram macht es Hörern und Ausführenden nicht gerade leicht, bevorzugt eine farbige Tonsprache weitgehend jenseits der Tonalität, in jenem Grenzbereich, in dem die wohlvertrauten Regeln harmonischer Querbeziehungen keine Geltung mehr haben. Diesen Herausforderungen stellten sich Chor und Orchester des Oratorienvereins selbstbewusst.

Instrumentale Farbgebung

Obwohl sich die Orchesterbegleitung zumeist im Bereich der instrumentalen Farbgebung und melismatischen Umspielung der Melodiestränge bewegte und damit das unterstützende harmonische Fundament fehlte, fanden die Choristen im "Ich lieg im Streit" zu Homogenität und beeindruckender Aussagekraft.

Auch in der Folge wurden die heiklen Intervallsprünge und expressiven Klangballungen bestens gemeistert. Dobmeier steuerte die Balance sensibel aus und machte im Sanctus das dissonante Zwiegespräch zwischen Frauen- und Männerstimmen zum Klangerlebnis. Harmonisch fügten sich die Solisten ins musikalische Geschehen ein. Der kultivierte Bass von Thomas Scharr sorgte im "Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ" für vokalen Wohllaut. Während die Altistin Susanne Dünnebier etwas verhalten wirkte, legte der Sopran von Monika Herzer immer wieder Spuren leuchtender Strahlkraft.

Eingangs hörte man aus Bertrams Violinkonzert "Ohne und mit B-A-C-H" leider nur den mit Elegie überschriebenen ersten Satz, in dem die namensgebenden Töne von Johann Sebastian Bach ausgespart sind. Anstelle der damit korrespondierenden Rhapsodie mit dem dann dominierenden B-A-C-H-Motiv erklang die Sarabande aus der zweiten Partita d-Moll für Violine solo des barocken Großmeisters. Ulrike Dobmeier stellte mit sauberer Doppelgrifftechnik die Architektonik der Bach'schen Sarabande mit der gleichen Souveränität in den Kirchenraum, mit der sie auch die horrenden technischen Anforderungen in Bertrams Violinkonzert meisterte.


 




Südwestpresse Ulm vom 15.4.2006

Pauluskirche / Hans Georg Bertrams „Ecce Homo“

Hans Georg Bertrams Passionsoratorium „Ecce Homo“ führte die Münsterkantorei gestern in der Paulskirche auf. Eine aufwühlende, tief bewegende Interpretation.

Helmut Pusch

Die karfreitäglichen Passionskonzerte der Münsterkantorei sind oft eine grenzwertige Sache, nicht in musikalischer Hinsicht, sehr wohl aber was die Temperaturen im Münster angeht. Denn nach dem Winter heizt sich der riesige Bau nur sehr langsam auf.
Nachdem der Winter dieses Jahr so gar nicht gehen will, zog Kirchenmusikdirektor Friedrich Fröschle am Dienstag die Konsequenz und verlegte das Passionskonzert in die Pauluskirche. Eine richtige Entscheidung, die dem Publikumszuspruch nicht abträglich war. Die Pauluskirche war gut gefüllt, obwohl Fröschle dieses Jahr auf keinen Klassiker setzte. Die grossen Bach-Passionen hatten dieses Jahr ohnehin die Wiblinger Bachtage aufgeführt.

Fröschles Wahl: Das 1991 entstandene Passionsoratorium „Ecce Homo“ des Esslinger Komponisten Hans Georg Bertram. Bertram vertonte den Passionsbericht des Matthäus in der Übersetzung von Walter Jens. Diesen Text erweiterte der Komponist um Choralstrophen, Zitate aus Georg Trakls Prosastück „Barrabas“ und Zeilen aus zeitgenössischen Gedichten von Else Lasker-Schüler, Marie-Luise Kaschnitz und anderen. Ein opulenter Text, dem Bertram einen opulenten Apparat gegenüberstellt. Der Motettenchor der Münsterkantorei fungierte als Doppelchor, die Fürbitten sang der Kinderchor II der Münsterkantorei, die Sinfonietta Tübingen war mit einem Saxophon, zwei Schlagzeugern, Orgelpositiv (Evelin Bracks-Fröschle) und Klavier (Allan Martin) verstärkt.
Und Bertram nutzt diesen Apparat weidlich, setzt auf große Dynamik, entzieht sich keineswegs der Melodie weiß aber immer zu brechen, und wenn er Bach zitiert, tut er das in einer Harmonik, die keine Zweifel lässt, dass es um die Leidensgeschichte Jesu geht. Wohlklang ja, aber kein ungetrübter.
Eine Kompositionstechnik, die hohe Anforderungen an die Mitwirkenden stellt. Doch hier war bei Friedrich Fröschle alles in besten Händen. Der Motettenchor sang schlicht punktgenau, artikulierte flüsternde Einwürfe ebenso exakt wie donnernde Fortissimo-Stellen; und die schwebenden, an Obertongesang erinnernden Akkorde waren glockenrein.
Ein Niveau, dem auch die Solisten in nichts nachstanden. Anja Metzger berührte mit ihrem warmen Sopran, Birgit Huber sang ihren Part mit lyrischem Mezzo, Berthold Schmid meisterte seine umfangreiche Aufgabe als Erzähler mit Verve, und Stefan Geyer (Bariton) glänzte mit Volumen.
Nach ergriffenem Schweigen gab es minutenlang Applaus.


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