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Esslinger Zeitung vom 21.11.2004

Primat des Wortes

ESSLINGEN: Sechs Oratorien von Hans Georg Bertram in der Stadtkirche - Walter Jens liest aus seiner Bibelübersetzung

Von Peter Eltermann


Viele Kerzen tauchen das Kirchenschiff der evangelischen Stadtkirche St. Dionys in ein warmes Licht. Man möchte verweilen, die besondere Atmosphäre, die diese "Nacht der Engel und Apostel" auftut, in sich aufnehmen und genießen. "Ein Oratorium ist für mich der Raum zum Beten und Lesen der Heiligen Schriften", sagt der Esslinger Komponist Hans Georg Bertram, von dem im Lauf dieser Nacht sechs Oratorien aufgeführt werden.

In seinen Kompositionen verzichtet Bertram auf übermäßige klangliche Ausschmückungen und reduziert die Begleitung der Orgel auf ein Minimum: "Die Schrift kommt mit wenig Musik aus, sie darf dem Text nicht zu nahe treten." Mit seiner tonalen Reduzierung erzielt Bertram eine ungeheure Spannung, die einerseits im Kompositorischen, aber auch ganz besonders im Bereich der Sprache und des Textes wurzelt. Deshalb trifft er seine Textauswahl und auch die der verwendeten Bibelübersetzungen erst nach reiflicher Überlegung, wenngleich diese vom Publikum nicht immer ohne weiteres nachvollzogen werden kann. So kommt die Sprache Martin Bubers bei dem Werk "Hiobs Botschaft", dem die Geschichte von Hiob zu Grunde liegt, hölzern und sperrig daher, macht dem Zuhörer den Zugang nicht leicht. "Genau das ist es, was ich erzielen wollte, denn diese Erzählung ist an sich keine leichte Kost und alles andere als gut verständlich. Das Publikum soll zum Nachdenken angeregt werden, zur Auseinandersetzung mit dem Text. Deshalb habe ich hier bewusst Bubers Übersetzung gewählt."


Aus Jüngern werden Schüler

Eröffnet wurde die lange musikalische Nacht mit "Am Anfang: das Wort". Walter Jens, der mit seiner Übersetzung des Johannes-Evangeliums die Anregung zur Entstehung dieses Oratoriums für Sprechstimme und Orgel gegeben hat, übernahm an diesem Abend selbst die Rolle des Sprechers. Jens' Übertragung ins Deutsche überrascht immer wieder, wenn er zum Beispiel von Schülern statt von Jüngern redet oder erläuternde Einschübe in den Text einfließen lässt. Eine rhythmisierte Sprache, geprägt von feinen Nuancen, zeichnen die Übersetzung des Trägers des "Deutschen Predigtpreises" aus. Fragende Klänge von der Orgel, oft fragmentarisch eingesetzt, verdichten sich immer wieder, um daraufhin plötzlich wieder verloren im Raum zu schweben. Der Organist Hans Georg Bertram spielt mit packender Intensität, vor allem bei den zarten Passagen. Und dieses Weglassen summiert sich zu einem Klangerlebnis von ungeheurer Präsenz.


Freiheit des Zuhörers

"Ich habe durch die Auseinandersetzung mit Martin Bubers Übersetzung den bekannten Text von Martin Luther wieder neu lieben gelernt." Mit diesen Worten kommentiert Klaus Scheffbuch das Werk "Hiobs Botschaft". Der ehemalige Esslinger Dekan, der bei diesem Stück zusammen mit Susanne Pertiet die Rolle des Sprechers übernommen hat, trägt mit klarer und eindrücklicher Stimme den schwer zugänglichen Text vor. Hermann Trefz begleitet meisterlich an der Orgel. Die Sopranistin Hanna Schüssler, Corinna Brände als Altstimme, der Tenor Wolfram Geuppert und der Bass Peter Schneider bilden das Vokalensemble, das Auszüge aus dem bekannten Choral "Ach bleib mit deiner Gnade" sauber ausgesungen vorträgt.

"Stimmen der Nacht" erklingen als lyrisches Konzert für Sprechstimme und Orgel im weiteren Verlauf der Aufführungen, gefolgt von "Adam, wo bist du", "Das A und das O" und "Markus Evangelista". Bertram sagt, er verstehe diese Nacht als Einladung, die dem Zuhörer die Freiheit lassen möchte, die Werke als Einzelnes oder aber auch alle Stücke in Folge zu erleben.



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